Alle grossen Nato-Staaten haben in dieser Woche beschlossen, der Ukraine insgesamt mehrere Dutzend Kampfpanzer zu liefern – alle ausser Frankreich. Dabei hatte Präsident Emmanuel Macron noch am vergangenen Sonntag den Eindruck vermittelt, dass diese Entscheidung in Paris schon aufgegleist sei. «Nichts ist ausgeschlossen, sofern es echte und effiziente Unterstützung bedeutet», sagte Macron auf die Frage einer Journalistin, während der ebenfalls anwesende deutsche Kanzler der Frage elegant auswich.
Ein nicht sehr verbreitetes Modell
Seither haben Deutschland und Amerika die Lieferung von Kampfpanzern zugesagt, viele kleinere Länder haben in der Folge die gleiche Absicht bekräftigt. Nur in Paris ist man offiziell immer noch mit der «technischen Prüfung» beschäftigt.
Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu liess in einem Interview durchblicken, dass es dabei wohl vor allem darum geht, ob die Lieferung überhaupt sinnvoll und kein «vergiftetes Geschenk» ist, wie er sagte. Lecornu begründete dies unter anderem damit, dass Frankreich das einzige westliche Land sei, das den Kampfpanzer Leclerc im Einsatz habe, und die Expertise für dessen Bedienung nicht sehr verbreitet sei. Dieses Argument gilt für den britischen Challenger 2 eigentlich auch, spielte aber bei der britischen Entscheidung offenbar keine Rolle.
Der in Frankreich entwickelte Leclerc ist laut Lecornu «mit Elektronik vollgestopft» und daher kompliziert in der Bedienung. Die Ukrainer hätten ausserdem jüngst andere Prioritäten geäussert. Demnach würden sie aus Frankreich Gerät für die Flugabwehr oder die Artillerie vorziehen. Lecornu betonte, dass Paris die nun von mehreren Ländern getroffene Entscheidung für Panzerlieferungen angestossen habe – indem man vor drei Wochen als Erstes die Lieferung des Spähpanzers des Typs AMX-10 RC beschlossen habe.
Aus französischer Sicht ergibt es wenig Sinn, den Ukrainern Leclerc-Panzer zu überlassen. Zum einen, weil der Ausbildungsaufwand für die geringe Menge, die das Land entbehren könnte, gross scheint. Zum anderen, weil die Produktion im Hinblick auf ein deutsch-französisches Modell der Zukunft – das allerdings nicht vor 2040 erwartet wird – bereits eingestellt wurde. Frankreich könnte also keinen Nachschub und auch nur bedingt Ersatzteile liefern.
Anders als der AMX-10 RC, der ohnehin ausgemustert wird, würden die Leclerc im Arsenal der französischen Armee fehlen. Diese verfügt über etwa 220 Stück, wobei laut Lecornu nicht alle einsatzfähig sind. Hinzu kommen politische Kosten: Die Panzer der Ukraine zu überlassen, wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen, Macron wolle die Schlagkraft der französischen Armee schwächen. Am deutlichsten spricht sich in Frankreich das rechtsnationale Rassemblement national gegen die Lieferungen weiterer Waffen aus, mit dem Argument, dass diese Friedensverhandlungen verunmöglichten.
Guthaben noch nicht abgerufen
Aber auch die Regierung in Paris ist offenbar willens, bei den Waffenlieferungen nachzulegen. Lecornu sagte, man werde in den nächsten Tagen eine Entscheidung fällen. Er wies allerdings auch darauf hin, dass von den 200 Millionen Euro, die man der Ukraine für Einkäufe bei französischen Rüstungsunternehmen zur Verfügung gestellt habe, noch rund die Hälfte nicht abgerufen worden sei.
Zurzeit scheint es fast realistischer, dass Frankreich die Stärkung der ukrainischen Flugabwehr anstatt einer Panzerlieferung anvisiert. Verteidigungsminister Lecornu ist am Freitag nach Rom gereist, wo er mit seinem italienischen Amtskollegen unter anderem über die Modalitäten einer Lieferung des mobilen französisch-italienischen Flugabwehrsystems Samp/T sprechen will. Italiens Aussenminister hatte Anfang der Woche die Möglichkeit ins Spiel gebracht, der Ukraine eine Batterie zu überlassen.
Frankreich hatte der Ukraine im November zwei Flugabwehrbatterien des Typs Crotale weitergegeben, von denen das Land insgesamt zwölf besitzt. Der ukrainische Verteidigungsminister Olexi Resnikow bezeichnete die Crotale in einem Interview mit dem «Figaro» diese Woche als eine der Basiskomponenten für den Aufbau einer effektiven Flugabwehr – zusammen mit mobilen Einheiten. Laut französischen Medienberichten sind auch weitere Crotale-Lieferungen im Gespräch. Resnikow sagte in dem Interview allerdings auch, dass der Leclerc-Panzer willkommen wäre, sollte sich Frankreich für eine Lieferung entscheiden.
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